Indien im Chaos - die Tücken des ausufernden Papiergeldes

Über Nacht wurden in Indien 80 Prozent des im Umlauf befindlichen Papiergeldes für ungültig erklärt - am 8. November begann ein ungeahntes Chaos. Was zur Bekämpfung von Korruption und Schwarzarbeit gedacht war, ist längst zur lebensbedrohlichen Situation ausgewachsen.

Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgens auf und erfahren aus den Medien, dass das in Ihrer Geldbörse befindliche Papiergeld nichts mehr wert ist - einfach so, ohne vorherige Ankündigung. Sie haben zwar die Möglichkeit, die für ungültig erklärten Geldscheine auf Ihrer Bank gegen neue einzutauschen, dort bilden sich aber bereits lange Schlangen und die Bargeldvorräte reichen nicht aus, um alle Wartenden zu bedienen. Fazit: Sie hätten mehrere Tage, vielleicht auch für Wochen keine Möglichkeit, irgendetwas einzukaufen oder zu bezahlen - so geschehen in Indien am 8. November 2016.

Währungsreform mit radikalen Zügen

Der indische Premierminister Narenda Modi erwischte sein Staatsvolk auf dem kalten Fuß, als er kurzerhand die 500- und 1.000-Rupien Banknoten für ungültig erklärte und zum Umtausch in neue Geldscheine aufforderte. Damit solle, so äußerte er sich in einer Fernsehansprache, die Schwarzarbeit ebenso eingedämmt werden wie die Korruption, weswegen diese Maßnahme auch nicht im Vorfeld angekündigt worden wäre. Allerdings ließen auch die Vorkehrungen, nämlich die Versorgung der Banken mit neuen Geldscheinen, zu wünschen übrig - auch dies wurde als Vorsichtsmaßnahme erläutert. Vor dem Hintergrund, dass knapp die Hälfte der Inder nicht einmal ein Bankkonto hat und das Barvermögen zu Hause lagert, wird die ganze Tragweite nur im Ansatz klar: Es bildeten sich sofort lange Schlangen vor den Banken, die Bankautomaten wurden versperrt, Wechselgeld steht kaum zur Verfügung - das gesamte Leben kam zum Stillstand.

Und ein Ende ist nicht abzusehen, Modi schwor seine Bevölkerung darauf ein, noch weitere Wochen durchhalten zu müssen - insgesamt werde die Reform wohl noch 50 Tage brauchen. Erste Todesopfer sind zu beklagen, ältere Menschen erlitten in den langen Schlangen Herzinfarkte, andere wurden nicht behandelt, weil die Patienten kein Bargeld für die kostenpflichtige medizinische Versorgung übrig hatten. Vor Verzweiflung nahmen sich bereits Menschen das Leben, sie hatten von der Möglichkeit, das ungültige Geld in neue Scheine umtauschen zu können nichts mitbekommen und sahen sich ihrer Existenzgrundlage schlichtweg beraubt. Werden diese drastischen Maßnahmen Ihr Ziel erreichen? Das darf bezweifelt werden.

Die Ziele und deren Erreichbarkeit - das passt nicht zusammen

Die Intention der indischen Regierung liegt klar auf der Hand: Wird der auf Bargeld aufgebaute Wirtschaftskreislauf zumindest zu einem großen Teil bargeldlos organisiert, wie es beispielsweise hier in Deutschland der Fall ist, hat einerseits der Staat einen deutlich besseren Zugriff, um Steuern erheben zu können. Im Moment zahlt nicht mal ein Prozent der Bevölkerung Indiens überhaupt Steuern. Sich hier eine Einnahmequelle zu sichern, würde vieles erleichtern. Die offizielle Lesart befasst sich andererseits mit den Themen Korruption und Terrorismusbekämpfung, aber auch mit dem weit verbreiteten Falschgeld, das auf diese Weise aus dem Verkehr gezogen werden soll. Allerdings sind längst auch schon die neuen Scheine als Blüten aufgetaucht - das Argument dürfte nicht verfangen. Um aber das in Indien in enormen Mengen im Umlauf befindliche Bargeld in die Banken und damit in den offiziellen Geldkreislauf zurückzubefördern, werden sich diese Maßnahmen als wenig geeignet erweisen: Bei diesem Andrang an den Bankschaltern können die Angestellten weder registrieren, wer wie viel an Bargeld umtauscht, noch dazu animieren, sich ein Konto anzuschaffen - im Gegenteil.

Wer größere Mengen an Bargeld zu Hause lagert, wird dies in kleineren Beträgen über Mittelsmänner tauschen lassen, um den staatlichen Nachforschungen zu entgehen. Noch besser dran sind die Inder, die sich mit Gold eingedeckt haben: Kleine Stückelungen lassen sich vor allem in diesen Zeiten perfekt zum Tausch gegen Lebensmittel, medizinische Versorgung oder andere wichtige Leistungen eintauschen. Schenkt man den aktuellen Gerüchten Glauben, plant die Regierung ohnehin das Verbot von Goldimporten nach Indien und wird dies wohl auch damit begründen, dass der tatsächliche vorhandene Korruptionssumpf ausgetrocknet werden soll.

Was sollten wir daraus lernen?

Wir müssen bereits die meisten Transaktionen bargeldlos abwickeln: Sowohl die Lohn- oder Gehaltsüberweisung als auch die Entrichtung von Steuern und einer ganzen Anzahl von Gebühren wird nur noch per Überweisung akzeptiert. Wer kein Konto hat, bekommt keinen Job, keine Wohnung - er ist nicht existent. Damit hat der deutsche Fiskus schon den perfekten Zugriff auf alle relevanten Daten. Was aber passiert, wenn Bargeld ganz abgeschafft wird? Das ist nicht weit hergeholt, wie die sich häufenden Berichte zeigen - Vorbereitung ist alles, physisches Gold in kleinen Stückelungen gehört unverzichtbar dazu.